Träume verstehen

Progression des Seins

Wie Blinde träumen – ein Beitrag von Egon Fast

jungeEgon Fast ist blind, von Geburt an. Natürlich kann auch er träumen, aber wie? Egon Fast schenkt uns mit seinen Erfahrungen, eine grandiosen Einblick in die Welt derjenigen Menschen, die Träumen ohne zu sehen. Kaum vorstellbar für Menschen, die nicht auf den Sehsinn verzichten müssen.

Träumen Blinde anders als sehende Menschen? Können Blinde Dinge und Menschen sehen, die ihnen im Traum begegnen? Können sie in ihren Träumen Bilder und Farben erkennen und unterscheiden? Diese und ähnliche Fragen wurden mir schon oft gestellt. Ich will hier nun versuchen, in einem kleinen Entwurf zu beschreiben, wie blinde Menschen träumen. Dieser Versuch muß natürlich stark eingegrenzt werden, da Träume ja immer individuell sind. Jeder Mensch hat seine eigenen Träume. So kann ich eigentlich nur zu erklären versuchen, wie ich persönlich selber träume.

Ich bin 47 Jahre alt und von Geburt an blind. Daher kann ich die Frage, wie Blinde träumen, nur aus der Sicht des Geburtsblinden beantworten. Ich träume sehr oft und sehr viel und kann mich auch nach dem Aufwachen noch an sehr vieles erinnern. Da ich bald ein halbes Jahrhundert alt sein werde, habe ich in meinem Leben schon sehr viele Träume gehabt. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich kann in meinen Träumen nicht sehen. Ich sehe weder Bilder, noch Farben, noch Dinge oder Menschen. In meinen Träumen spielen sich die Szenen, wenn die Träume ruhig verlaufen und nicht allzu durcheinandergeraten, fast so wie in meinem wirklichen Leben ab. Ich kann Dinge und Menschen berühren, kann die Stimmen der Menschen, von denen ich gerade träume, hören und kann mich mit ihnen unterhalten. Nur sehen kann ich sie nicht. Ich beschäftige mich auch tagsüber oft mit meinen Träumen, da sie, wie ich einmal in einem wissenschaftlichen Buch über Träume gelesen habe, sehr viel über unser Unterbewußtsein aussagen. So kann ich meine Träume mehr oder weniger in verschiedene Gruppen ordnen:

Da gibt es z. B. die sogenannten “Weg”-Träume. In solchen Träumen gehe ich meistens auf Landstraßen oder schönen Wald- oder Wiesenwegen dahin, höre die Vögel zwitschern, rieche den Duft der Blumen und kann, wenn sich ein Feld in der Nähe befindet, das Getreide betasten. Manchmal gehen auch andere Menschen mit mir mit, die mich aber nicht zu führen brauchen, denn ich kann in diesen Träumen ganz allein ohne Blindenstock gehen. Wenn ich will, kann ich auch den Pfad verlassen und mich in den Wald begeben, um zwischen den Bäumen hin- und herzugehen, ohne mich zu verirren. Manchmal träume ich auch, daß ich sogar selber Auto oder Motorrad fahren kann. Das ist sehr toll. Da bekomme ich dann immer ein mächtiges Freiheitsgefühl. Ich wundere mich dann immer nur, daß ich den Weg so gut kenne und nirgends mit meinem Fahrzeug anstoße. Und wenn ich vom Schwimmen träume, dann kann ich in solchen Träumen auch unter Wasser atmen und sprechen. Ich habe auch schon mal davon geträumt, daß ich auf dem Mond war. Da hat es mir aber nicht so gut gefallen, denn da war alles so staubig und leer, und ich hatte immer Angst, vom Mond herunterzufallen.

Das sind im Großen und Ganzen schöne und ruhige Träume. Natürlich träume ich auch, daß ich in der Stadt herumgehe, aber bei diesen Träumen verpasse ich meistens die Straßenbahn oder bin ganz verzweifelt, weil ich meinen Stock vergessen habe.

Dann gibt es noch die sogenannten “Schul”-Träume. In diesen Träumen sitze ich meistens in der ersten Klasse der Volksschule und muß Dinge lernen, die ich im wirklichen Leben längst schon kann. Das Klassenzimmer, die Schüler und der Lehrer sind dabei die selben wie damals, als ich wirklich die 1. Klasse Volksschule besuchte. In diesen Träumen bin ich dann immer sehr verwundert und frage mich, was ich da soll, weil ich doch eigentlich schon längst erwachsen bin. Ich kann aber nichts dagegen tun. Wahrscheinlich hat da mein Unterbewußtsein noch etwas aufzuarbeiten.

Zum Thema Aufarbeiten meines Unterbewußtseins gehörten bis vor einigen Jahren auch die sogenannten “Eltern”-Träume. Da träumte ich von meinen Eltern, die aus irgend einem Grund sehr mit mir schimpften. In diesen Träumen wagte ich nicht, zurückzureden. Und wenn ich wirklich einmal zu widersprechen wagte, hatte ich immer das Gefühl, von meinen Eltern nicht ernst genommen zu werden. In späteren Träumen getraute ich mich schon, zu widersprechen, und meine Worte wurden von meinen Eltern auch ernst genommen. Wenn ich heute von meinen Eltern träume, dann gehe ich in solchen Träumen mit ihnen spazieren, trinke Kaffee mit ihnen und wir plaudern gemütlich miteinander. Dies ist also ein Beispiel, wo mein Unterbewußtsein schon so einiges aufgearbeitet hat.

Manchmal sind meine Träume so klar und deutlich, daß ich mich nach dem Aufwachen noch an jedes einzelne Wort erinnern kann, das darin gesprochen wurde. Im Laufe des Tages vergesse ich diesen Traum dann aber wieder. Manchmal ist es aber auch umgekehrt. Da erinnere ich mich, wenn ich aufwache nur daran, daß ich irgendwas geträumt habe, weiß aber nicht genau, was es war. Erst im Laufe des Tages fällt mir durch einen Gedanken oder ein Stichwort der Traum der letzten Nacht dann wieder ein. Es kann aber auch vorkommen, daß ich mich überhaupt nicht mehr erinnern kann, daß und ob ich etwas geträumt habe. Da muß ich dann wirklich tief und fest geschlafen haben. Experten zufolge, träumt man ja jede Nacht etwas. Man träumt aber meistens in einer Phase des Schlafes, die nicht so tief ist, und die Träume dauern meistens nur einige Sekunden oder Minuten. Das habe ich mir auch angelesen. Das habe ich früher auch nicht gewußt. Früher dachte ich immer, man träumt die ganze Nacht hindurch, solange man schläft.

Oft träumen wir von Dingen, die uns im Alltagsleben unterkommen. Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, daß es bei manchen Dingen sehr schnell geht, vielleicht gleich in der nächsten Nacht, bis sie in meinen Träumen vorkommen. Bei manchen Dingen dauert es aber länger. So ist mir z. B. der Euro erst Anfang April, also drei Monate, nachdem ich ihn im wirklichen Leben kennengelernt hatte, in meinen Träumen vorgekommen.

Ich habe aber nicht nur schöne und ruhige Träume, sondern auch, besonders dann, wenn ich wieder einmal viel zu viel gegessen habe, sehr schwere Alpträume. In diesen Träumen stecke ich meistens in einer Höhle und finde den Ausgang nicht. Wo immer ich auch hingehe, werden die Felsmauern immer enger, sodaß sie mich fast erdrücken. Oder ich träume von Kriegen und Erdbeben. Dann passiert es nicht selten, daß ich mit einem lauten Schrei schweißgebadet aus meinen Alpträumen erwache und froh bin, daß es nur ein Traum war.

Aber manchmal träume ich auch, und das nicht nur in der Nacht, daß mich ein junges, hübsches Mädchen küßt und daß ich mit diesem Mädchen viele wunderschöne Dinge erlebe… Aber das wird wohl auch nur ein Traum bleiben; und außerdem muß man, um so etwas zu träumen, nicht unbedingt blind sein. Solche Träume haben, glaube ich, sehende Menschen auch.

Das war also jetzt ein kleiner Entwurf eines Versuches, aus meiner Sicht zu beschreiben, wie Geburtsblinde Träumen.

Quelle: Egon Fast – http://www.anderssehen.at/ – mit freundlicher Genehmigung von Petra Raissakis

Categories: Traumblog

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