Vor über 3000 Jahren stand das Leben der Menschen ganz im Zeichen des Überlebens. Ein ganzes Volk, das immer vom Wohlwollen der Götter und der Fruchtbarkeit des Nils abhängig war, wollte wissen, wie das Morgen sein wird. Die Götter waren es, die Bescheid wussten und die Träume waren das Medium, durch das sie sich mitteilten.
Träume waren für die alten Ägypter eine Möglichkeit am Göttlichen und Jenseitigen teilzuhaben. Im Schlaf tauchte die Seele ein in den himmlischen Urzean Nun und stieg verjüngt und wissend daraus empor. Im Nun empfängt die Seele die Träume von den Göttern. Träume, die den Menschen die Zukunft enthüllten und in denen Sie vor allem auch mit ihren geliebten Verstorbenen Kontakt halten konnten.
Ein bewegendes Beispiel wie die alten Ägypter mit ihren Verstorbenen kommunizierten, zeigt eine Begegnung eines Witwers mit seiner toten Frau im Traum. Der Mann, der seit drei Jahren unablässig von seiner geliebten Frau träumt, fragt sich: Was sie denn eigentlich von ihm wolle? Er habe sie zeitlebens gut behandelt, habe ihr Nahrung und Kleider gegeben, habe sie ärztlich versorgen lassen, als sie krank war, habe sie nicht verstoßen, als er beruflich avancierte …, “Warum verfolgst du mich?”
Die Menschen im alten Ägypten hatten keinerlei Zweifel: Das Leben endet nicht mit dem Tod und für sie war es selbstverständlich in ihren Träumen die Verwandten und Bekannten zu besuchen.
Mit welcher Begeisterung die alten Ägypter ihre Träume verehrten und welche religiöse Bedeutung sie hatten, zeigen auch diese Weisheitslehren:
“Gott hat die Arznein geschaffen, um die Krankheiten zu heilen, den Wein, um die Traurigkeit zu vertreiben, und die Träume, um den Träumenden zu leiten, der die Zukunft nicht kennt.”
“Gott hat den Traum geschaffen, um seinen Besitzer den Weg zu weisen, wenn er blind ist.” (Pap. Insinger)
Doch wie haben sie ihre Träume verstanden? Der Ruhm ägyptischer Traumdeuter drang weiter über die Grenzen des Landes hinaus. Die altägyptischen Deuter waren die Gefragtesten des gesamten Mittelmeerraums, das bezeugen historische Texte. Zum Teil mussten ägyptische Traumdeuter von weit her anreisen, um den Herrschern anderer Völkern deren Schicksal zu verkünden.
Auch für die alten Ägypter waren die Träume schwer verständlich und geheimnisvoll. Die Traumdeutung war kunstvoll und intellektuell herausfordernd und somit mussten die Traumdeuter speziell ausgebildete Priester sein. Nur religiöse Experten konnten diese geheimnisvolle Sprache verstehen. Um Fachmann zu werden, mussten die Priester viele Jahre lang studieren. Die zukünftigen Deuter wurden im Lebenshaus ausgebildet. Das Lebenshaus ist eine Art kulturelles, intellektuelles Zentrum im Tempelbezirk. Die Aufgabe der Priester war es, Wissen zu generieren und zu erhalten. In diesem Lebenshaus fand sich auch die Bibliothek mit den Traumbüchern. Von denen heute noch das sogenannte “hieratische Traumbuch” teilweise erhalten ist. Es entstand vor ca. 4000 Jahren. Es sind die ersten schriftlich niedergelegten Empfehlungen zur Traumdeutung. Eine Abschrift davon, der Papyrus Chester Beatty ist heute teilweise noch erhalten. Sie stammt von dem Schreiber Amunachte, der um 1100 v. Chr. gelebt hat.
Das Buch besteht aus hunderten von Beschreibungen bestimmter Traumbilder. Wobei diese immer dem gleichen Schema folgen.
Zunächst wird das Traumbild beschrieben:
Wenn ein Mann sich in Trauerkleidern sieht
, dann wurde es bewertet
– gut –
und am Ende finden Sie die Deutung des Traumbildes.
bedeutet vermehrten Besitz.
Weitere Beispiele zeigen immer wieder die gleiche Struktur:
Wenn ein Mann sich selbst in einem Traum sieht, wie Gott über ihm schwebt, gut, es bedeutet ein großes Mahl.
Wenn ein Mann im Traum durch ein Fenster starrt, gut, es bedeutet seine Anruf wird von seinem Gott erhört.
Wenn sie (eine Frau) eine Katze gebiert, wird sie viele Kinder haben.
Wenn sie einen Esel gebiert, wird sie ein dummes Kind gebären.
Wer Wein trinkt – gut -, wird in Rechtschaffenheit leben.
Wer den Mond scheinen sieht – gut -, dem wird Gott verzeihen.
Wer einen (Vogel) Strauß sieht – schlecht -, den wird Kummer befallen.
Wer Blut trinkt – schlecht -, hat einen Kampf zu erwarten.
Nun könnte man sich fragen, woher diese Deutungen stammen. Immerhin wurden sie für gültig erklärt und über viele Hunderte von Jahren hinweg immer wieder abgeschrieben und angewendet. Da die Sprache als heilig galt, wurden Wortspiele und Ähnlichkeiten im Klang verschiedener Worte für die Voraussagen und Deutungen genutzt.
Wer helles (!) Brot zu essen bekommt – gut -, dessen Antlitz wird sich erhellen (!).
Oftmals waren die Deutungen religiös motiviert und an der sowieso schon stark symboldurchtränkten ägyptischen Denkart orientiert.
Wenn ein Mann aus dem Fenster schaut – gut -, dessen Ruf wird von Gott gehört.
Wobei das Fenster und der Fluß für die alten Ägypter eine Nahtstelle zwischen Dieseits und Jenseits war. Viele Deutungen bedienen sich der Symbolkraft der Traumbilder: so bedeuten gefesselte Füße z..B Sesshaftigkeit.
Und manchmal waren die Erklärungen einfach nur pragmatisch:
Wenn ein Mann sich in Trauerkleidern sieht – gut bedeutet vermehrten Besitz.
Die Ästhetik des Zusammenhangs zwischen Deutung und Traumbild stand im Vordergrund, ganz und gar nicht der persönliche Bezug. Es ging schließlich nicht um individuelle Themen, sondern Träume und der Mensch waren immer auf ein höheres Ganzes bezogen. Vielleicht lässt sich dies besser verstehen, wenn wir davon ausgehen, dass das Denken und Handeln der damaligen Menschen fast ausschließlich auf die Religion, die Götter und das Jenseits gerichtet war. Allerdings erkennen wir, dass die Deutung eines Traumes auf Assoziationen beruht und transpersonal war und das ist auch der Unterschied zur heutigen “Traumarbeit“, die keine transzendenten Erklärungen benötigt – wir also nicht in den Urozean Nun während des Schlafens eintauchen, sondern in das dunkle und tiefe Gewässer des Unbewussten und unserer Lebenserfahrungen.
Quellen:
Pongracz, M. & Santner, I. (1963): Das Königreich der Träume – 4000 Jahre moderne Traumdeutung, Wien: Zsolnay
Emma Brunner Traut: Alltag unter Pharaonen. So lebten die Alten Ägypter.
Kasia Szpakowska: Behind Closed Eyes: Dreams and Nightmares in Ancient Egypt
Categories: Traumblog
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