Traumerfahrungen sind anders. Im Traum hinterfragen wir unsere Erlebnisse nicht. Da erheben wir uns über die herrlichsten Landschaften und sind fest davon überzeugt fliegen zu können. Kinder reden mit Tieren und zweifeln keinen Moment daran, dass das liebe Hündchen genauso so sprechen kann wie wir Menschen. Alles ist selbstverständlich, vieles ist möglich und zahlreiche Begrenzungen, die uns im Wachleben stören werden im Schlaf ignoriert. Der Traum wirft alle Erfahrungen des Lebens wild und scheinbar regellos durcheinander. Gibt es dafür eine Erklärung?
Das Gehirn ist im Schlaf wach. Es gibt zwar unterschiedliche Aktivitätsniveaus, aber im Großen und Ganzen können wir sagen: Das Gehirn ist im REM-Schlaf hoch aktiv. Allerdings gibt es da bestimmte Regionen, die nachts fast keinen Mucks machen, oder anders formuliert: Dort ist die Stoffwechseltätigkeit stark reduziert. Das ist derjenige Teil, der es uns ermöglicht Entscheidungen zu treffen und zu planen aber auch Erfahrungen zu bewerten und zu kritisieren. „Habe ich heute genügend gearbeitet?“, „Ich sehe unmöglich aus!“, „Muss der Herr Nachbar gerade jetzt zur Mittagszeit seinen Rasen mähen?“. Und sehr beliebt: „Das schaffe ich niemals!“. Das sind typische Fragen und Aussagen, mit denen wir unseren Alltag, unser Handeln und Erleben fortwährend kommentieren. Nachts hingegen sind wir befreit von dieser selbstbezogenen und tadelnden Haltung. Wenn Sie genau acht geben, bemerken Sie dann beim Aufwachen wieder, wie sich das kritische Bewusstsein langsam aus seinem Schneckenhaus heraustraut und sogleich mit seiner Arbeit beginnt: „Das war ja mal wieder ein blöder Traum!“ oder „Was habe ich jetzt schon wieder Unsinniges geträumt?“ Wie erholsam, dass diese eigentlich belastenden kritischen Äußerungen mit dem Einschlafen verschwinden und kreative Prozesse das Szenario beherrschen. Das Ich ist zwar Teilhaber des Geschehens, aber nicht Initiator von Gedanken, Bildern, Erlebnissen, Metaphern und Symbolen. Wir sind dem Geschehen ergeben. Das ist gut so. Denn abgelöst von einem kritischen Bewusstsein können sich Erfahrungen neu organisieren und gestalten.
Das Verhaftetsein im Augenblick ist ein weiteres entscheidendes Merkmal dafür, wie wir unsere Träume erleben. Es gibt kein Früher oder Später. Wir wiegen uns im Traumgeschehen, lassen uns treiben und überlassen es dem Wohlwollen unseres Geistes wo wir angekommen.
Untersuchungen bei Erwachsenen haben gezeigt, dass wir im Traum zu allerhand Gefühlen fähig sind, uns selten jedoch für eine bestimmte Handlung schuldig fühlen oder uns für etwas schämen. Auch das ist ein weiteres Indiz dafür, dass wir unser Verhalten im Traum nicht bewerten. Wenn Kinder im Alter von ca. 2 – 3 Jahren soziale Regeln lernen und ein inneres Wertesystem über das Zusammensein mit der Familie aufbauen, entwickelt sich parallel dazu das kritische Bewusstsein. Im Traum allerdings entledigen sie sich diesem engen Korsett von Geboten und Verboten und entschweben befreit in eine Fantasiewelt, die ihnen erlaubt mit Grenzen und Regeln zu spielen. Da kuschelt sich die Hündin Joschi im Traum in Karins Bett, auch wenn dies Mama ausdrücklich verboten hatte. Nun könnte man meinen, dass Kinder und Erwachsene sich im Traum mal richtig gehen lassen, übertreiben und hemmungslos sind, aber das stimmt nicht, denn in der Regel bleiben wir in den Traumvorstellungen und Handlungen – trotz aller Freiheiten – maßvoll und angemessen.
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