Träume verstehen

Progression des Seins

Kinder träumen von Tieren

ole3Wer war nicht schon mal dumm wie ein Esel oder hat geschimpft wie ein Rohrspatz? Und sicher waren sie schon mal so verärgert, dass andere Ihnen vorgeworfen haben: „Dir ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen?“ Jungs fühlen sich bärenstark, wenn sie ihre Muckis in den Himmel heben oder finden einen Witz oder eine Fernsehsendung affengeil. Wenn Kinder nicht machen, was Mama und Papa ihnen vorgeben, dann sind sie bockig, brüllen oder blöken. Pubertierende Girlies können zickig sein. Kleine freche Buben äffen andere kleine freche Buchen nach. Jungs sind ausgefuchst, wenn wir ihnen nicht auf die Schliche kommen und Mädchen elfenhaft, wenn sie beim Tanzen die Welt um sich herum vergessen. 

Bestimmt fallen Ihnen noch mehr Beispiele ein, denn unser Wortschatz ist tief durchtränkt von dieser anschaulich figürlich-mystisch-metaphorischen Sprache. Der Vergleich mit den Vierbeinern ergibt sich möglicherweise dadurch, dass sich Tiere und Menschen ein weites Gefühls- und Verhaltensrepertoire miteinander teilen.

In der Metapher vergleichen wir uns mit unseren Artverwandten und bezeugen damit, dass wir als Menschen immer auch noch Tier sind. Kinder zeigen diese Verbundenheit zu allem Tierischen im Spiel mit ihren Haustieren, beim Kuscheln mit ihren Stofftieren oder auf einer symbolischen Ebene im Kontakt mit Tieren in ihren Träumen.

Welch außerordentliche Rolle Tiere in der Entwicklung von Kindern spielen, zeigt sich auch daran, dass Kinder bis zu einem Alter von ca. zehn Jahren sehr häufig von Tieren träumen. Ihre Traumwelten sind reich bevölkert von Tierwesen, Monstern und Märchenfiguren aller Art. Bei den ganz kleinen Kindern sind Tiere sogar öfter im Traum vertreten als Mama und Papa oder andere Bezugspersonen. Untersuchungen zeigen, dass in den Träumen der drei- bis fünfjährigen Tiere in vier von zehn Träumen auftreten. Personen hingegen nur in einem von fünf Träumen erscheinen. Dieses auffällige Missverhältnis verändert sich allerdings in dem Maße, wie Kinder im Wachleben vermehrt Kontakte zu anderen Kindern und Erwachsenen haben. Dann tauchen in ihren Träumen öfter Personen und weniger Tiere auf. Bei Jugendlichen erscheinen nur noch etwa in einem von zehn Träumen Tiere. Das verändert sich auch im Erwachsenenalter kaum noch. Nie mehr scheinen Tiere im Leben eines Menschen also so wichtig zu sein wie im Kindesalter. Warum ist das so und weshalb haben Kinder in ihren guten wie in ihren schlimmen Träumen so auffallend oft mit Tieren zu tun?

Kinder und Tiere begegnen sich auf Augenhöhe. Denken Sie daran, wie ausgelassen schön Kinder mit Hunden spielen können. Es sind Spiele die beiden Freude machen: Stockwerfen, schwimmen, Bauch kraulen, Fellpflege betreiben, miteinander schmusen, durch die Wiese rasen oder einfach spazieren gehen. Zudem benutzen beide eine einfache, klar zu verstehende Sprache, um Gefühle und Stimmungen mitzuteilen. Im Unterschied zu der Art und Weise wie Kinder und Erwachsene miteinander kommunizieren, ist diese zwischen Tier und Kind direkter und authentischer. Die Gefühlsregungen der kuscheligen Miezekatze sind für kleine Kinder schon nachvollziehbar. Eine Katze zeigt ihren Missmut, ihre Laune aber auch ihr Wohlbehagen ganz deutlich. Sie verstellt sich nicht, sie faucht, wenn sie in Ruhe gelassen werden will und schnurrt wenn es ihr behaglich ist. Ein Hund flüchtet oder knurrt, wenn es ihm zu laut wird. Kinder werden von ihren Haustieren auch uneingeschränkt angenommen. Sie bewerten deren Verhalten nicht und akzeptieren sie vorbehaltlos mit all ihren Macken und natürlich auch den liebenswerten Eigenschaften. Das kann Eltern gar nicht in dem Maße gelingen, denn sie wollen und müssen ihr Kind ja erziehen und bewerten deswegen all das, was das Kind so tut.

Darüber hinaus gibt es auch interessante Parallelen, die sich an den Gesichtszügen von Tieren und Kindern ablesen lassen. Konrad Lorenz zeigte, dass vor allem die Gesichter von Hunden, Katzen und Enten dem Kindchenschema entsprechen, ganz ähnlich wie dies für kleine Kinder typisch ist: Dominante Augen und niedliche Nase bei vergleichsweise großem Kopf und hoher Stirn. Untersuchungen haben ergeben, dass Tiere die Gefühlslage von Kindern stark beeinflussen können. So können aggressive Kinder im Umgang mit einem Hund friedfertiger werden, traurige Kinder finden im Haustier und ersatzweise im Kuscheltier einen tollen Gesprächspartner, der zuhört, beruhigt und sanft macht. Deswegen werden Tiere auch in der Therapie psychiatrischer Störungen wie ADHS, Konzentrationsstörungen, Depressionen oder Autismus eingesetzt. Der Kinderpsychologe Dieter Krowatschek, der seinen Hund Fly in der Therapie von ADHS als Co-Therapeuten mit einbezieht, meint: „Im Umgang mit Tieren lernt man vieles ohne Zwang und ohne ständige Erklärungen, aber mit hoher Motivation.“ Kinder lernen vor allem den rücksichtsvollen Umgang mit dem Tier. Dadurch gelingt es ihnen leichter, sich in andere einzufühlen, deren Bedürfnisse zu erkennen und Grenzen zu akzeptieren. Das Vernünftige, das die Lebenswelt des Erwachsenen beherrscht kennt das Kind noch nicht. Das Denken ist noch nicht so vom Fühlen abgespalten. Das Kind ist noch stärker mit allem Tierischen und Natürlichen versöhnt.

Kinder identifizieren und solidarisieren sich mit Tieren, was die Vierbeiner wiederum zu geeigneten Projektionsflächen macht. Sie übertragen ihre eigenen Schwächen und Stärken, ihre Stimmungen und Einstellungen auf die Tiere. Beobachten Sie mal, wie Kinder mit Haustieren sprechen oder auf Tiere wie zum Beispiel Schwäne, Füchse und Bären in Bilderbüchern reagieren. Sie sprechen von ihnen als wären es Menschen, gestehen ihnen ähnliche Vorlieben und Bedürfnisse zu wie sich selbst. Im Spiegel des Helden reflektieren sie sich und geben sich damit eine Antwort auf die Frage: „Wer bin ich eigentlich?“ Tiere sind also nicht nur im direkten Umgang sondern auch als geistige Abbilder präsent in der kindlichen Erlebniswelt. Das zeigen Träume auf interessante Weise: Da können Tiere sprechen, zeigen typisch kindliche Gefühle, werden also mit kindlichen Attributen ausgestattet. Sie tragen im Traum quasi deren Emotionen spazieren. Haie, Löwen, Schlangen, Spinnen oder bissige Hunde tauchen dann auf, weil sich das Kind tagsüber vielleicht provozieren hat lassen, aggressiv oder streitlustig ist oder ein devoter Hund, ein Häschen oder eine Schnecke, weil es sich am Tag zuvor hinter seiner Angst versteckt hat. Eine anschmiegsame und kuschelige Katze könnte uns verraten, dass sich das Kind nach Geborgenheit sehnt, sich eine Katze wünscht, oder vielleicht selbst gerne eine Katze wäre:

Fabian (12 – ein Kind mit Down-Syndrom) träumt: Sina (Hund) und Felix (Katze) sind die ganze Nacht bei mir im Zimmer. Auf die Frage der Mutter, wie er das denn findet, antwortet er: „Das ist cool, aber ich weiß, dass du das nicht willst.“ Auf die Frage: „Was bedeutet denn die Katze im Traum für dich?“, antwortete ein 8-jähriges Mädchen: „Ich möchte auch eine Katze sein, Katzen werden immer gestreichelt.“

Dass Tiere im Traum stellvertretend für das Kind agieren, zeigt sich vor allem bei ganz kleinen Kindern, die sich selbst noch nicht im Traum aktiv erleben. So leiht die dreijährige Jenny ihre schönen Augen mal ihrer Katze aus, die dann grünäugig durch die Traumlandschaft schleicht und an Jennys Stelle Abenteuer erlebt. Manchmal verarbeiten Kinder aber auch lediglich ihre Erfahrungen mit ihren Haustieren im Traum. Der verschmuste Stubentiger, der schwatzhafte Papagei oder der treue Bello sind dann Begleiter, Ratgeber oder Freund, ganz wie im richtigen Leben. So wie es Sandra (5) in ihrem Traum erlebt:

Mama, ich habe heute Nacht von einem Bauernhof geträumt, der gehört mir, ich hatte viel zu tun, habe den Stall von den Pferden ausgemistet und kümmere mich um die jungen Hunde und Katzen. Du und Emelie und Janina habt mich besucht. Ich konnte aber nicht lange mit euch reden, weil die jungen Hunde darf ich nicht alleine lassen.

Sandra kommentiert ganz stolz: „Im Traum hab ich mich groß gefühlt, musste mich um alle Tiere kümmern. Ich mag Hunde und Katzen und Pferde ganz toll und am liebsten würde ich auf einem Bauernhof leben.“

Aus dem Buch: Traumgespräche – Was Träume über das Seelenleben von Kindern verraten.

Categories: Traumblog

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