Kinder äussern spontan ihre Einfälle, wenn sie gefragt werden, woher Träume kommen –z.B. sagen sie: “Die Träume kommen von den Engeln” oder “Sie kommen aus dem Himmel” oder “Aus dem Sehen raus, wenn man was im Fernseher gesehen hat”. Wir Erwachsene sind da meist um eine Antwort verlegen. Trotzdem gab es im Laufe der Geschichte immer wieder den einen oder anderen Versuch die Quellen der Träume aufzusuchen.
In den Schriften der alten Völker, wie den Ägyptern und den Babyloniern und auch im alten Testament waren Träume ausnahmslos von Gott gesandt. Die Menschen gingen damals davon aus, dass ihnen die Götter im Traum einen gleichnishaften Blick in die Zukunft gewährten. Es war dann die Aufgabe der Traumkundigen – meist speziell ausgebildete Priester – die rätselhaften Traumbilder zu entschlüsseln. Mit Hilfe dieser dechiffrierten Gottesnachrichten wurde dem Träumer und manchmal gar einem ganzen Volk – wir denken dabei an den biblischen Josef – die Zukunft prophezeit.
Für Homer – einem Dichter der griechischen Antike – waren Träume sogar geflügelte Wesen. Entitäten, die dem Träumer göttliche Botschaften überbrachten. Der griechische Philosoph Platon hingegen glaubte, dass sich die Seele im Traum von den irdischen Fesseln löst, um in die Welt der Ideen aufzusteigen, die göttliche Wahrheit zu schauen. Was verrät uns dieses damalige Traumverständnis? Zum einen kann man daran sehen, welch hohen Stellenwert Träume im Leben der Menschen damals hatten und es verrät uns etwas über deren tiefe Religiösität und Verbundenheit mit Gott. Damals war es offensichlicht, dass Träume weit über die eigene Person hinaus reichen und jeder Mensch im Schlaf in jenseitigen und göttlichen Gefilden weilte. Natürlich hatten die Menschen aber auch damals schon Träume, in denen es um die ganz alltäglichen Dinge ging. Die wirren, erotischen, beschämenden und angstvollen Träume. Konnten die von Gott gesandt sein? Ein Dilemma, das die Denker, Theologen und Philosophen der letzten zweitausend Jahre sehr intensiv beschäftigte.
Die Kirchenfürsten des Christentums bemühten sich um eine Antwort und meinten: Die guten Träume sind göttlichen Ursprungs und die anderen, die bösen werden vom Teufel geschickt. Das war eine sehr vage Unterscheidung, denn wo genau verläuft die Trennlinie? Doch einerlei – dies hielt die Menschen nicht davon ab, Träume sogar als Rechtfertigung für schlimmste Bestrafungen heranzuziehen.
Auch wir modernen Menschen erfahren dies ganz ähnlich. Neben den alltäglichen oder wirren Träumen sind manch andere wiederum so lebensfremd und alltagsfern, dass wir glauben könnten, sie wären nicht von dieser Welt. Manche Menschen machen z.B, tiefe spirituelle Erfahrungen, sehen Bilder oder haben Visionen, die nur wenig mit ihrem realen Leben zu tun haben. Manche glauben im Traum, einen Blick in die Zukunft erhascht zu haben. Viele Menschen träumen von Katastrophen, Unfällen oder vom Tod eines nahen Angehörigen, entsetzliche Dinge, die schließlich wirklich eintreffen. Andere begegnen ihren verstorbenen Angehörigen im Traum, erhalten von diesen Ratschläge oder werden von ihnen getröstet.
Auch Kinder kennen schon diese ganz andere, alltagsferne Art des Träumens. Sie bekommen im Traum Besuch von ihren verstorbenen Großeltern oder machen religiös-spirituelle Erfahrungen. Dies erfährt auch schon Jonas mit seinen 5 Jahren und drückt dies folgendermaßen aus: „Ich glaube, dass Träumen so ähnlich ist wie beim lieben Gott sein.“ Es ist die Gewissheit, dass Traumerfahrungen so etwas ganz anderes sind als Alltagserfahrungen.
Für die meisten Menschen sind diese Erlebnisse eher gespenstisch und befremdlich als schön und erhaben, weil sie den Rahmen ihrer Alltagserfahrungen sprengen. Letztendlich gibt es keine Antwort auf die Frage, ob zum Beispiel Wahrtraumerfahrungen auf bloßen Zufall beruhen oder die Psyche tatsächlich die Fähigkeit besitzt, sich den Fesseln der Zeit zu entledigen. Von Wissenschaftlern wird dies eher belächelt und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis sie auch diese Erlebnisse auf die ganz spezifischen Funktionsweisen des Gehirns zurückführen und somit aus dem Bereich des Esoterischen und Religiösen verbannen.
Heute gehen die Traumforscher davon aus, dass die Träume ihr Material ganz aus der Lebensfülle des Träumers nehmen: Aus seiner Persönlichkeit, aus all seinen Erfahrungen und Erinnerungen, seiner aktuellen Lebenssituation und aus dem, was der Träumer tagsüber erfährt, fühlt und durchdenkt. Unsere Traumbilder speisen sich ausschließlich aus der Innenansicht unserer Erfahrungen. Maßgebend ist dabei, wie wir die Welt wahrnehmen und erleben bzw. wie wir sie konstruieren. Aber wie lassen sich diese Innenansichten beschreiben?
Wenn uns nun jemand einen Traum erzählt, kann es außerordentlich spannend sein, die Quellen der Traumbilder zu erkunden. Dann kann man danach fragen, aus welchen Gedanken, Empfindungen, Erlebnissen und Erinnerungen Traumbilder bestehen und wie diese zu den aktuellen Erfahrungen passen. Ein Beispiel:
Markus (11 Jahre) träumte davon, dass er mit einem Fahrrad über den See gefahren ist. Er trat mächtig in die Pedale, weil er unbedingt schneller sein wollte als seine Freunde mit den Ruderbooten. Dabei musste er etlichen Booten ausweichen und fortwährend strampeln, damit er nicht ins Wasser fällt und untergehn.
Im Gespräch mit dem Vater berichtet Markus:
- „Gestern hat es ganz schlimm geregnet. Ich war mit meinem neuen Mountainbike unterwegs. Es war super gefährlich, weil alles voll mit Wasser war. Überall große Pfützen. Ich war klitschnass und konnte nicht bremsen aber irgendwie war das spaßig.“ Markus empfindet das Radfahren im Traum ganz ähnlich wie das Radfahren durch den strömenden Regen am Tag zuvor. Im Traum tauchen somit Erlebnisse des Vortages auf, die in einen anderen Bedeutungszusammenhang eingefügt werden.
- „Ich hatte mal ein Computerspiel, da musste ich mit einem Schnellboot Fässern, die im Wasser lagen, ausweichen. Genau so, wie ich im Traum den Ruderbooten ausgewichen bin.“ Im Traum finden sich frühere Erlebnisse und werden einem aktuellen Thema angeglichen.
- „Jesus kann auch über das Wasser gehen.“ Im Gespräch über den Traum taucht eine Erinnerung an den Religionsunterricht auf, die ihn sehr beeindruckt hat. Träume sind manchmal auf ältere Erfahrungen bezogen, wobei auch sehr frühe Erfahrungen aus der Kindheit zu finden sein können – meist in abgewandelter Form.
- „Die meisten Jungs in den Booten sind in der Schule besser als ich.“ Im Traum ist es gerade anders, dort ist er der Überlegene. Durch dieses Bild wird seine eher schlechte Stellung in der Klasse kompensiert. Damit ist ein Aspekt seiner Persönlichkeit, seines Selbstbewusstseins und die Beziehungen zu anderen Menschen abgebildet.
- „Es hat Spaß gemacht, alle zu überholen.“ Damit ist ein Wunsch benannt, den er sich normalerweise beim Spielen am Computer erfüllt: Besser zu sein als die anderen und Spaß zu haben.
In den Träumen bildet sich all das ab, was wir können, was wir gerne tun würden, was wir uns wünschen, vor was wir uns ängstigen, was wir erhoffen, was wir gerne überwinden würden – schlicht unsere ganze Persönlichkeit. Auch die Beziehungen zu anderen Menschen und damit eng verbunden unsere Erinnerungen, unsere Kindheitserlebnisse und das was wir momentan erleben und was uns wichtig ist. Daraus ergibt sich dann ein Bild, ein Symbol oder eine kleine Geschichte, in welchen sich eine Vielzahl von Erlebnissen integriert. Jeder, der sich schon lange mit Träumen beschäftigt, ist immer wieder aufs Neue tief beeindruckt von der schönen inneren Logik, mit der die einzelnen Wacherfahrungen Nacht für Nacht sinnvoll und passend miteinander verwoben werden. Wie der Traum von Markus deutlich macht, ist es ein Merkmal von Träumen, dass ein Bild oder Symbol mit vielen verschiedenen Aspekten bzw. Erinnerungen assoziiert sein kann. Freud nannte dies sehr anschaulich Verdichtung. Nach welchen psychologischen Regeln sich diese Erfahrungen im Traumbild aber verdichten, ist niemandem bekannt. Es scheint ein geheimnisvoller Klebstoff zu bleiben, dessen innere Struktur noch nicht ausreichend erforscht und beschrieben wurde.
Categories: Traumblog
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